Bioabfall-Vergärung und Biogasgewinnung
Die für die Verstoffwechselung von Biomasse unter Ausschluss von Sauerstoff zuständigen Bakterien gehören zu den ältesten Lebewesen unseres Planeten. Sie bevorzugen ein dunkles, feuchtes, warm-heisses Milieu mit möglichst wenig Sauersauerstoff. Ihnen ist es auch zu verdanken, dass vor Jahrmillionen Erdöl und Erdgas entstanden sind. Denn durch im Erdreich verdichtete, eingelagerte Pflanzen, welche keine Sauerstoffzufuhr mehr hatten, wandelten die Bakterien das Material um. Eigentlich sind Erdöl und Erdgas auch „Bioenergie“. Im Gegensatz zu Biogas wird aber bei der Verbrennung von Erdöl oder Erdgas CO2 freigesetzt, welches vor Jahrmillionen in der basierenden Biomasse gespeichert worden ist, welches die aktuelle CO2-Bilanz unseres Planeten negativ beeinflusst. Biogas wird aus „frischer Biomasse“ gewonnen und kann bei seiner Verbrennung nur so viel CO2 freisetzen, wie die Biomasse während ihrem Wachstum in sich gespeichert hat. Da zwischen Biomassewachstum und deren Biogasnutzung lediglich Wochen bis Monate Zeit liegen, wird der CO2-Haushalt als „neutral“ bezeichnet. Daher besitzt das Biogas auch eine bessere Umweltbilanz als das Erdgas und ist in der aktuellen Energiedebatte eine „grüne Energie“. Im Rahmen aktueller Zukunftsentwicklungen bestehen Ansätze, das im Biogas enthaltene CO2 „umzuwandeln“ (zum Bespiel mit der Kombination von Bioabfallvergärung und „Power to gas“ – Stromspeicherung im Gasnetz, wo Biogas mit aus Strom hergestelltem Wasserstoff angereichert wird und das CO2 im Biogas dann den Wasserstoff zu Methan umwandelt.) Damit könnte Biogas sogar zu einem CO2-freien Energieträger werden.
Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten verschiedene Wissenschaftler, dass Abwasser mittels anaerober Vergärung (Verstoffwechselung von Biomasse unter Ausschluss von Sauerstoff) geklärt werden kann. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurden Anfang 1900 erste Abwasserreinigungsanlagen mit beheizten „Faulräumen“ (Fermentern) ausgerüstet. Das bei diesem Prozess entstandene Bio- bzw. Klärgas wurde zu Beginn ungenutzt direkt in die Umwelt abgegeben. Erst gegen Ende des ersten Weltkrieges erkannten die Kläranlagenbetreiber den „positiven Nebeneffekt“ des aus der anaeroben Abwasserbehandlung entstehenden Gases. So wurde fortan das gewonnene Klärgas in das städtische Gasnetz eingespeist. Einige Klärwerke verdienten damit so viel, dass sie ihre Betriebskosten decken konnten. Bis Anfang des zweiten Weltkrieges hatten sogar einige europäische Städte ihren Fuhrpark auf Klärgas umgestellt. Die Müllabfuhr der Stadt Zürich fuhr bis 1973 mit Klärgas.
Der „Klärgas-Boom“ inspirierte auch Landwirtschaft, aus ihren Reststoffen ebenfalls ein an die Stadtwerke verkauf bares Gas herzustellen. Denn in landwirtschaftlichen Viehbetrieben fallen fester und flüssiger Reststoff in Form von Gülle und Mist an, welche dem Abwasser bzw. dem Klärschlamm einer Kläranlage sehr ähnlich / artverwandt sind. So entstanden auf grösseren Betrieben in den 40er und 50er Jahren landwirtschaftliche Vergärungen für Gülle und Mist – was heute als „Geburtsstunde der Biogasanlagen“ bezeichnet wird.
Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs begann der Erdöl-Siegeszug. Die Erdöl- (und auch Erdgas-)preise waren derart lukrativ, dass die Stadtwerke kein Interesse mehr an Bio- und Klärgas zeigten. Erst im Zuge der Energiekrise von 1973 wurde die Biogastechnik wieder aktuell. Aber durch weiter fallende Erdölpreise wurde die weitere Entwicklung erneut gebremst.
Anfang der Neunzigerjahre begann dann das Zeitalter der heutigen Biogasanlagen. Ausgelöst durch die beginnenden Diskussionen um den anbahnenden Klimawandel und der Energie-Effizienz wurde das Bio-, Klär- und Deponiegas plötzlich wieder interessant. Verschiedene „Daniel Düsentrieb“ bastelten an Biogasanlagen für Bioabfälle aus Grüngut und Nahrungsmittelabfälle. So entstanden in der Schweiz, Deutschland und Österreich etliche Pilotanlagen und erste Projekte wurden – dank innovativen Unternehmern – realisiert. Dann ging es verhältnismässig schnell. Mit Aufkommen der der politischen Diskussion um erneuerbare Energien rückte das Biogas schnell ins Zentrum der Diskussion. Plötzlich wurden der Landwirt zum Energiewirt und die Grün- und Bioabfälle von Kommunen und Betrieben zu geschätzten Energierohstoffen. Grosse Energiekonzerne erkannten, dass sie in erneuerbare Energien investieren müssen. So wurde der Biogasanlagenmarkt angekurbelt. In der Schweiz, Deutschland und Österreich – später dann auch in Skandinavien, Italien und Frankreich schossen Biogasanlagen wie Pilze aus dem Boden. Staatliche Förderprogramme kurbelten den Markt weiter an. In Deutschland entwickelte sich die Biogasgewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen. Was ursprünglich als sinnvolle Synergie aus der energetischen Nutzung von Brachflachen mit der Anpflanzung von z.B. „Energiemais“ gedacht war, führte zu einer weltweiten Marktverlagerung. Plötzlich war es interessanter, z.B. angebauter Mais zur Energieproduktion auf dem Weltmarkt zu verkaufen, als für die Nahrungsmittelherstellung im eigenen Land einzusetzen. Einhalt mussten dann entsprechende gesetzliche Bestimmungen sowie Einschränkungen bei den Förderprogrammen geben. Dies wiederum führte im 2015 zu einem Einbruch der Biogas-Szene. Etliche Anlagenbauunternehmungen verschwanden wieder vom Markt.
Die Getrenntsammlung und –verwertung von Bioabfällen ist heute in Zentraleuropa „Stand der Entwicklung“. Entsprechende gesetzliche Regelungen geben diese Lösung vor. Dort wird mittlerweile auch vorgegeben, dass, wenn möglich, eine energetische Nutzung zu bevorzugen ist. Während noch vor fünfzehn Jahren das Biogas hauptsächlich zu Strom und Wärme aufbereitet worden ist, bietet die Aufbereitung des Biogases zu „Biomethan“ und Einspeisung ins öffentliche Erdgasnetz eine äusserst spannende Alternative. Denn erneuerbarer Strom und erneuerbare Wärme lassen sich auch aus Sonne, Wind, Wasser oder der Geothermie herstellen. Für eine Substitution von Erdgas steht aber das Biogas im Fokus – und dürfte mittelfristig noch an Bedeutung gewinnen.
Während bei der Vergärung von Bioabfällen aus Haushaltungen, der Gastronomie und der Nahrungsmittelindustrie die Anlagendichte in Zentraleuropa bald erreicht werden wird, besteht in der Landwirtschaft bei der Vergärung von Gülle und Mist noch ein grösseres Potenzial. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass in den kommenden Jahren sich die Effizienz der Vergärung durch Optimierungen der Verfahrens- und Anlagentechnik steigern lässt. Es sei an dieser Stelle aber auch darauf hingewiesen, dass Biogasanlagen zur Verwertung von Grün- und Bioabfällen eigentlich „Abfallverwertungsanlagen mit einem energetischen positiven Neben-Effekt“ sind. Denn es darf nie so weit kommen, dass wir extra Bioabfall bereitstellen müssen, um daraus Energie herstellen zu können. Aus Umweltgesetzlicher Sicht sind Abfälle generell zu minimieren. So gesehen ist das Potenzial für die Bioabfallvergärung bekannt, begrenzt und langfristig stagnierend bis rückläufig. Biogas aus Bioabfällen wird nie unsere massgebende zukünftige Energie sein. Aber aus meinem Abfall von gestern heute die Energie nutzen zu können ist äusserst sinnvoll und auch in Zukunft erstrebenswert. Denn der Energiemix der Zukunft wird aus mehreren Quellen bestehen – und da hat das Biogas einen festen Platz.